Hamburg, Deine Füße

Irgendwann kommt der Zeitpunkt, da kriecht in einen die Verzweiflung. Und dann ist es soweit: Man wirft sich wieder auf den Markt der Singles – bereit sich optimal zu präsentieren, für sich zu werben und Reklamationen für sich zu beanspruchen.

Doch diese Verzweiflung motiviert nicht nur, es dann doch noch einmal zu probieren. Sie saugt dich gleichzeitig aus. Sie saugt all Deine Hoffnung aus, das da noch einmal jemand kommt, der Dein Herz berührt, der liebt und nett und intelligent ist. Der lustig ist, vielleicht auch ein wenig verrückt.

Das Tragische ist, dass die meisten tatsächlich verrückt sind. Aber nicht im positiven Sinne. Sie sind schlichtweg Psychopathen. Und dann hast Du irgendwann keinen Mund in Deinem Gesicht, der zärtlich oder auch wild oder auch im Wechsel sich auf Deinen Mund presst, umspielt, leckt – dann hast Du Füße an Deinem Gesicht und die Frage in Deinem Gehirn: Was um Himmels Willen passiert hier gerade und wer ist dafür verantwortlich? Der liebe Gott, irgendwelche Himmelskörper oder doch – und das ist immer die bitterste Pille, die man schlucken kann und auch muss – man selbst.

Es war die Zeit, als ich dachte, alle normalen Wege seien gegangen worden und ich müsste jetzt schlichtweg Geld dafür bezahlen, um einen Mann kennenzulernen.

Also Computer an, Datingseite aufrufen, klicken, registrieren und los ging es.  Mit absoluter Match-Garantie wie das Portal wirbt. Da kann ja quasi nichts schief gehen, dachte ich. Neun Monate sollte der Spaß dauern.

Zwei Dates gab es genau, eines davon in Hamburg. Das ist zwar mehr als 400 Kilometer entfernt, aber warum eigentlich nicht. Was hatte ich schon zu verlieren. Rein gar nichts, außer Erinnerungen an etliche Vollpfosten, die ich bis dato gedatet hatte. Es konnte nur besser werden.

Mit dem Typen in der Hansestadt war es ein es toller Chat. Thomas sein Name. Die Zeilen, die er schrieb, schienen intelligent, lieb, lustig – und manchmal wurde es auch heiß. Aber immer gerade so, dass noch der Anstand gewahrt blieb. Keine Nudes, keine Dickpics – einfach nur völlig normale Bilder in Klamotten. Nach Monaten des Schreibens dann die Verabredung.

Der Zug fuhr in den Hamburger Bahnhof ein, vorher hatten wir noch einmal telefoniert, um genau auszumachen, an welcher Haltestelle ich aussteigen sollte. Pünktlich kam ich an. Ich stieg aus, aber von Thomas war weit und breit nichts zu sehen. Da stand ich nun mit meinem kleinen Koffer, der Kopf reckte sich über die anderen Fahrgäste, die in Richtung Ausgang strömten. Aber immer noch: Kein Thomas in Sicht. Langsam stieg Nervosität in mir hoch. Ich rief ihn an.

„Hallo, ich bin es noch einmal. Ich bin angekommen. Ich sehe Dich aber nicht. Wo bist Du?“

„Komm mal raus aus dem Bahnhof. Ich bin doch nicht so blöd, steh auf dem Bahnsteig und hol Dich da ab. Das ist doch romantischer Scheiß. Ich steh vor dem Hauptausgang mit meinem Auto.“

Aufgelegt.

Mein Arm mit dem Handy in der Hand glitt langsam runter und in meinem Bauch braute sich ein ungutes Gefühl zusammen. Wird schon, sagte mir mein Kopf. Jetzt geh mal raus und sei nicht immer so empfindlich.

Da stand er nahe des  Eingangs mit seinem Wagen. Er winkte mir zu, ich solle einsteigen.

Da saß ich nun, bei diesem fremden Mann, mit dem ich wochenlang gechattet hatte. Der dabei zugewandt, interessiert lustig und sexy wirkte. Mit dem ich auch telefoniert hatte, weil ich wissen, wollte, wie er klingt und ob der Eindruck aus dem Chat sich auch dann bestätigt.

Aber was sich dann während meines Aufenthalts bestätigte, war etwas ganz anderes: Dass ich es mit einem absoluten Narzissten zu tun hatte, in dessen Fänge ich geraten war, aus denen ich mindestens bis zum nächsten Morgen nicht mehr rauskam. Klar hätte ich nach einigen Stunden einfach nach Hause fahren konnte.  Aber man gibt sich dann der Hoffnung hin, denkt, dies sei nur eine Momentaufnahme – jeder hat ja mal einen schlechten Tag. Oder Stunden, oder Minuten.

Thomas dachte sich dies nicht. Er redete viel von sich, eigentlich nur von sich. Und dass er so erfolgreich ist, und dass er so verdammt viel Glück hat in seinem Leben, und dass er es sich gut gehen lassen will. Und das Hamburg ihn so glücklich macht und er natürlich auch Hamburg, weil er hier so viel erlebt und Karriere machen kann und daher ja auch etwas der Stadt zurückgibt. Er war einfach der Supermann  – so seine Logik. Der Tag verging, am Ende von Spaziergängen, Autofahrten, Shoppingtour und Abendessen brummte mir einfach nur der Kopf vor lauter Monologe, die auf mich einprasselten.

Dass es sich bei dieser Geschichte um einen hoffnungslosen Fall handelte, bestätigte sich spätestens als ich ins Bett gehen wollte – in dieser unglaublichen Wohnung, die so steril wirkte, dass Kenner der Filmszene hätten denken können, gleich kommt Christian Bale um die Ecke mit einer Motorsäge  und spielt American Psycho. In diesem Fall war es HH-Psycho.

„Ich geh dann mal ins Bett“, sagte ich. „Alles klar“, murmelte dieser Kerl auf dem Sofa, der vorher 30 Minuten ferngeschaut hatte, ohne zu fragen, wie es mir geht, ein Getränk anzubieten oder ähnliches, was vielleicht darauf hätte schließen können, dass ich sein Gast bin.

Ich machte mich auf den Weg ins Bad, putze Zähne und Gesicht und legte mich ins Bett. Ja, genau dorthin, denn ich wusste ja nicht, wo mein Platz in dieser Wohnung sein sollte. Kein Wort darüber, wo ich schlafen sollte, was meine Seite sein sollte oder ähnliches. Also legte ich mich in dieses riesengroße  Bett und dachte nach.

Was ist das hier?

Ist das gruselig oder in Ordnung?

Was ist mit diesem Mann?

Ich machte die Augen zu und versuchte zu schlafen.

Doch dann hörte ich, wie der Fernseher ausgeschaltet wurde, Schritte – dann kam er ins Schlafzimmer, setzte sich auf die Bettkante, legte sich ab. Aber mit dem Kopf in Richtung Fußende. Der Mann, der mit Monate Honig ums Maul geschmiert hatte, mit dem Ich telefoniert hatte, der intelligent und anständig erschien – ja, genau dieser Kerl, hielt jetzt seine Füße an meinen Kopf. Selten schläft man mit so viel Demütigung wie in diesem Moment. Aber ich schlief ein und hoffte darauf, dass das nur ein schlechter Traum war.

Der endete am nächsten Morgen mit einem schnellen Kaffee und noch schnelleren Abschied meinerseits. Ich eilte Richtung Hauptbahnhof. Der ICE schien der sichere Ort zu sein. Der Zug rollte an, ich verließ Hamburg, diese schöne Stadt, atmete auf.

Ping Ping – das WhatsApp Signal riss mich aus den Gedanken. Eine Nachricht. Thomas schrieb.

„Danke für den Tag und die gemeinsame Zeit, war schön mit Dir.“

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