Der Tod hatte mich nackt erwischt. Und das zu einer Zeit, als es noch lange hin war, bis er mich aus dem Leben reißen konnte.
Wobei: Als ich da so nackt lag, voll in Erwartung endlich Sex erleben zu können, und auf einmal der Sensemann alles zu Nichte machte, da war es ein wenig so, als riss mir der Tod ein wenig Leben aus mir. Oder eher: Als würde der Tod dem Sex das Leben aushauchen.
Tatsächlich war es so, dass ein Todesfall das erste Mal zerstörte. Aber wie sollte es auch anders sein, wenn man sich für sein erstes Mal auf einen Priester einlässt. Ja, ein Priester – ein schwuler Priester. Ihn hatte ich auf einen dieser Datingplattformen im Internet kennengelernt. Natürlich hatte er mir im Chat nichts davon erzählt, dass er es mit der katholischen Kirche treibt. Er sagte nur, er habe Philosophie, Geschichte und Theologie studiert. Und ich – damals 28 Jahre alt – schöpfte kein Verdacht. Ich dachte halt, dass das einer dieser Intellektuellen ist, die mir früher in der Philosophischen Fakultät an meiner Uni über den Weg gelaufen waren.
Telefonat, Verabredung klar gemacht und ich war auf dem Weg an den Niederrhein. In der Straße war ich auf der Suche nach Hausnummer 14. Ich fuhr die Straße auf und ab. Hausnummer 10 und 12 gab es – dann aber die Nummer 16.
Ich fuhr noch einmal rauf und runter. 10, 12, Kirche, dann die 16. Ich ahnte immer noch nichts. Ich stieg aus. Ging auf die Suche nach der Hausnummer 14 und wurde fündig – direkt neben der Kirche. Und dann stand es dann am Klingelschild. Priester Jörg J. (Name geändert).
Ich klingelte ohne mir viele Gedanken zu machen. Und schwupps war ich im Pfarrhaus. Der Mann: dunkelblond, Bart, durchschnittliche Größe. Kein Schönling, aber ein sehr charmantes Lächeln und strahlende Augen. Wir unterhielten uns, das war es. So war es auch beim zweiten Date – ein gemeinsames Frühstück. Auch wieder im Pfarrhaus. Und irgendwann war ich abends dort und es musste passieren, was passieren musste an diesem Abend.
Denn ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Denn der Tod meines Vaters, der zwei Monate zuvor mein Leben überraschte, machte mich nervös. Sehr nervös. Es war ein Blitztod bei meinem Vater. Es ging alles schnell. Zusammenbruch, Reanimation, dann eineinhalb Intensivstation und dann zeigte der Monitor nur noch die Null-Linie an.
Bis dahin hatte ich auch schon andere Menschen sterben sehen. Der Tod gehört tatsächlich zu meinen Begleitern. Aber bis dahin sind alle, die ich sterbend erleben durfte, eher lange und im Siechtum von dieser Erde gegangen. Aber dieser Blitztod, der machte mir klar: Wenn Dir das genauso passiert, so schnell, so unvorhersehbar, dann bist du 28 Jahre alt geworden, hast aber nie eine Nacht mit einem Mann erlebt, nie gespürt, wie das ist, wenn jemand neben Dir in der Nacht atmet und man gemeinsam morgens aufsteht. Und wie das ist mir jemandem zu schlafen. Es waren Gedanken, die halt jeder Tennie ebenfalls hat. Aber sie waren halt da – auch im Erwachsenenalter. Also musste eben passieren, was passieren musste.
Da lagen wir nun – knutschend, streichelnd, leckend und aufgeheizt voller Lust. Und in meinem Kopf schwirrte es nur und in meiner Brust pochte das Herz laut – auch vor Aufregung. Als gerade seine Zunge tief in mir war, klingelte das Telefon. Wir ignorierten es. Doch je länger es schellte, desto mehr erwachten wir aus dem Rausch.
Jörg stand auf. Ich blieb liegen. Es dauerte, ich legte mich zu Seite. Er kam immer noch nicht. Ich deckte mich leicht zu. Langsam wich die Hitze der Geilheit der Kälte des Pfarrhauses. Dann stand er in der Tür und sagte: „Es tut mir leid. Wir müssen aufhören“.
„Warum denn“?, fragte ich.
Seine Antwort: „Ich muss ins Krankenhaus. Jemand erwartet die letzte Ölung von mir.“
Und ich dachte nur: „Was für eine Scheiße. Du solltest besser mich einölen.“